Aktuell

[2016/05/20]

"Herkulische Aufgabe"

Drei Neuerscheinungen

Drei Neuerscheinungen der letzten Monate beleuchten wichtige Aspekte der Digitalisierung des Filmerbes und der digitalen Zugänglichkeit von Filmgeschichte.

Der zum 40. Jahrestag der Gründung des Bundesverbands kommunale Filmarbeit erschienene Band Andere Filme anders zeigen stellt 119 kommunale Kinos und Festivals nebst Angaben ihrer Vorführformate vor. 74 Spielstätten haben noch 35mm-Projektoren und immerhin 41 können weiterhin 16mm-Filme vorführen. Nur 21 Kinos geben an, ausschließlich DCPs und/oder Blu-rays zu zeigen. Da die deutsche Filmgeschichte bisher kaum digital verfügbar ist, steht ihrer Verbreitung durch die kommunalen Kinos – was die vorhandene Vorführtechnik angeht – eigentlich nichts im Wege. Dass sie dennoch in deren Programmen kaum vertreten ist, muss andere Ursachen haben.

Anna Bohn, Referatsleiterin Film, Kunst und Artothek bei der Zentral- und Landesbibliothek Berlin skizziert in ihrem Aufsatz Von DVD zu Video-on-Demand: Bewegte Bilder in Bibliotheken und neue Wege des Zugangs zum audiovisuellen Kulturerbe die Vision einer hybriden Mediathek, die auch digitale audiovisuelle Ressourcen sammelt, sichert und anbietet. Da es Bohn vor allem um die Vermittlung geht, treffen ihre auf zahlreiche Beispiele gestützten Überlegungen weitgehend auch auf Filmarchive zu, die sich bisher mit vergleichbaren Überlegungen zurückhalten.

Zusammen mit Martin Koerber, dem Leiter des Filmarchivs der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen hat Anna Bohn auch den Eintrag über „Archivierung audiovisueller Medien in Deutschland“ in dem bei Metzler erschienenen Handbuch Archiv verfasst. Der Beitrag liest sich wie eine Bestandsaufnahme aller Mängel und Unzulänglichkeiten der Filmarchivierung hierzulande: Zersplitterung der Filmarchivierung, erhebliche Überlieferungsverluste (kein einziger Jahrgang einer Filmproduktion sei vollständig erhalten), keine systematische Hinterlegungspflicht, keine Verpflichtung, die für die Sicherung der Filme notwendigen Ausgangsmaterialien zu hinterlegen, keine Archivierungspflicht für Internet-Filme, DVD-Editionen und vergleichbare Bewegtbildmedien, kein Gesamtkatalog der audiovisuellen Sammlungen in Deutschland und international, kein eindeutig geklärtes Zitatrecht und keine Regelung für den Umgang mit ungeklärten Rechten und verwaisten Werken. Als beispielhaft für die Öffnung der Archive, wie sie die Digitalisierung ermöglicht, stellen die Autoren das französische Institut National de l’Audiovisuel (INA) und das kooperative niederländische Projekt vor. Das Fazit von Bohn/Koerber: Die deutschen Filmarchive stünden an mehreren Fronten vor einer „herkulischen Aufgabe“ (S. 174). Und: „Für die Verbindung des audiovisuellen Gedächtnisses mit der audiovisuellen Zukunft bleibt für den Gesetzgeber noch viel zu tun.“ (S. 177) Der Gesetzgeber wird sich aber nur dann bewegen, wenn sich sowohl die Archive als auch die Filmwissenschaft und die betroffene Öffentlichkeit, angefangen von den Filmemachern bis zu den Kuratoren und Vermittlern, deutlich stärker als bisher zu Wort melden.

Bibliografischen Angaben zu den drei Veröffentlichungen unter "Materialien"

Permalink: filmerbe.org/ref/?100,224


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